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Tarifvertrag - Differenzierungsklauseln sind verfassungsgemäß

Eine Gewerkschaft kann in den Tarifverträgen, die sie abschließt, danach unterscheiden, ob jemand Mitglied einer Gewerkschaft ist. Die Vorteile erhält danach jeder, der zum Stichtag eingetreten ist. »Unorganisierte« haben hingegen keinen Anspruch darauf.

Von Jens Pfanne.

Nach vielen erfolgreichen Jahren am Markt ging es dem Unternehmen wirtschaftlich schlecht. Es drohte die vollständige Schließung. Arbeitgeber und die IG Metall wollten dies verhindern und einigten sich auf einen Sozialtarifvertrag. Dieser galt allerdings nur für diejenigen Beschäftigten, die bis zum 23.03.2012, 12:00 Uhr Mitglied der IG Metall geworden sind. Arbeitnehmer hingegen, die auf eine Mitgliedschaft in der IG Metall verzichteten, konnten u.a. die Regelungen nicht in Anspruch nehmen. Dadurch entging ihnen u.a. eine um 10.000 Euro erhöhte Abfindung aus dem Sozialtarifvertrag.

Ein »Nichtmitglied« war mit dieser bevorzugenden Absprache im Sozialtarifvertrag nicht einverstanden. Zwar ist er nach dem Ausscheiden nicht »mit leeren Händen« nach Hause gegangen, klagte jedoch vor Gericht auf die höhere Abfindung. Er begründete dies damit, dass er ohne Rechtfertigung benachteiligt werde.

Allerdings hat ihm das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz den geltend gemachten Anspruch verweigert. Da der Kläger eben nicht zum vereinbarten Stichtag Mitglied der IG Metall gewesen ist, könne er aus dem Sozialtarifvertrag auch keine Forderungen stellen. Die Tarifvertragsparteien durften zwischen »Unorganisierten« einerseits und Gewerkschaftsmitgliedern andererseits unterscheiden.

Der unterlegene Kläger beschwerte daraufhin sich beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wegen der Verletzung seiner Grundrechte.


Verstoß gegen Grundrechte des Klägers?

Der betroffene Arbeitnehmer hat sich auf sein Grundrecht der Koalitionsfreiheit berufen (Art. 9 Abs. 3 GG). Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht, einer Gewerkschaft (Koalition) beizutreten. Zu dem Grundrecht gehört aber auch, einer »Koalition« fernzubleiben. Also kann niemand gezwungen werden, in eine Gewerkschaft einzutreten (sog. negative Koalitionsfreiheit).

Aus Sicht des Beschäftigten werde durch den Stichtag im Sozialtarifvertrag, der eine Mitgliedschaft in der IG Metall voraussetzt, ein unzulässiger Druck zum Beitritt in die Gewerkschaft ausgeübt. Auch hat er den Tarifvertragsparteien vorgeworfen, sie hätten die Absprachen so getroffen, um den »Unorganisierten« zu schaden.


Negative Koalitionsfreiheit nicht verletzt

Allerdings nahm das BVerfG die vorgelegte Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Richter sahen die Grundrechte der nicht organisierten Arbeitnehmer nicht verletzt. Allein aus der Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern entsteht noch kein Druck oder Zwang zum Beitritt. Vielmehr wird dadurch ein (finanzieller) Anreiz geschaffen, sich zu organisieren – die Entscheidung dafür bzw. dagegen wird nicht beeinträchtigt. Gewerkschaften sind zudem nur befugt, Vereinbarungen für ihre Mitglieder zu treffen. Hingegen sind sie nicht verpflichtet, alle Beschäftigten gleichermaßen zu berücksichtigen.


Tipps für die Praxis

Die Gewerkschaften bekommen ihr Mandat zur Verhandlung von Tarifverträgen von den bei ihnen organisierten Mitgliedern. Durch deren Mitgliedsbeiträge werden erfolgreiche Verhandlungen und die sie begleitenden (Arbeitskampf-)Maßnahmen erst möglich. Arbeitnehmer, die nicht Mitglied sind, können sich auf Tarifverträge nicht berufen.

Allerdings nehmen viele Arbeitgeber in den Arbeitsverträgen auf die abgeschlossenen Tarifverträge Bezug. Dadurch wollen sie verhindern, dass Nichtmitglieder in die Gewerkschaft eintreten, um die guten tariflich ausgehandelten Ansprüche nutzen zu können.


Betriebsverfassungsrechtliches Benachteiligungsverbot

Für die Arbeit von Betriebsräten gilt hingegen etwas anderes. Die Mandatsträger werden von allen wahlberechtigten Arbeitnehmern im Betrieb gewählt. Dementsprechend haben sie anschließend darüber zu wachen, dass alle Beschäftigten nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden (§ 75 BetrVG). Dazu gehört, dass jede unzulässige Benachteiligung unterbleibt.

So dürfen bei einem Interessenausgleich nicht bloß die Arbeitnehmer aus einer Namensliste herausgenommen werden, die Gewerkschaftsmitglied sind. Auch werden Grenzen bei den Kriterien zur Berechnung einer Abfindung in einem Sozialplan gesetzt. Dabei sind der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Benachteiligungsverbote zu beachten. Eine Unterscheidung danach, ob jemand Mitglied einer Gewerkschaft ist oder nicht, gehört daher nicht in einen Sozialplan.

Jens Pfanne, DGB Rechtsschutz GmbH


Quelle: https://www.bund-verlag.de/