EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung – Bedeutung für Betriebsräte
Viele böse Worte musste sich der EuGH für sein Urteil zur Arbeitszeiterfassung anhören. Dabei ist die Erfassung der täglichen Arbeitszeit auch in Deutschland schon in vielen Fällen gesetzlich vorgeschrieben und oft gängige Praxis.
Die Reaktionen auf die Entscheidung des EuGH folgten prompt nach Bekanntwerden. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte die Entscheidung »wie aus der Zeit gefallen«, die übliche »Bürokratie-Keule« wurde geschwungen und das Urteil als Hindernis für flexible Arbeitszeiten beurteilt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte an, das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung nicht einfach hinnehmen zu wollen.
Darum ging es
Die spanische Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) will mit ihrer Klage eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank verpflichten, ein System zur Erfassung der von deren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten. Das ist dort aufgrund einer vereinbarten Vertrauensarbeitszeit nicht der Fall. Die CCOO vertritt die Auffassung, dass sich diese Dokumentationspflicht aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG ergibt. Das vorlegende Gericht bezweifelte die Vereinbarkeit der Auslegung des spanischen Rechts durch das Oberste Gericht in Spanien mit dem Unionsrecht und rief den EuGH an.
Das wurde entschieden
Nach der Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019 – C-55/18 ist eine nationale Rechtslage mit der EU-Charta unvereinbar, wenn die Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Der Gerichtshof betont die Bedeutung des in der EU-Charta verbürgten Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf die Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten. Dieses ist in der EU-Arbeitszeitrichtlinie weiter präzisiert. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass den Arbeitnehmern die ihnen verliehenen Rechte gewährt werden, auch wenn es ihnen überlassen bleibt, mit welchen konkreten Modalitäten diese Rechte inhaltlich ausgefüllt werden.
Nur ein Arbeitszeiterfassungssystem bietet ein besonders wirksames Mittel zu objektiven und verlässlichen Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen. Dadurch erleichtert es sowohl den Arbeitnehmern als auch den zuständigen Behörden und Gerichten den Nachweis von Verstößen und damit die Kontrolle der tatsächlichen Beachtung der Arbeitszeitrichtlinie und der EU-Charta.
So sieht es nach Deutschem Recht aus
Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen […]. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.
Alle Zeiten, die über 8 Stunden hinausgehen, müssen also vom Arbeitgeber erfasst und für 2 Jahre dokumentiert werden. Zwar ist es zulässig, die werktägliche Arbeitszeit auf ausnahmsweise 10 Stunden und bei Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst noch weiter zu verlängern. Das ändert aber nichts daran, dass dies alles Fälle sind, in denen die Arbeitszeitüberschreitung von 8 Stunden erfasst und vor allem aufbewahrt werden muss. Hier besteht vor allem im Bewachungsgewerbe, in Kliniken und Pflege und bei Rettungsdiensten Handlungsbedarf für die Betriebsräte, denn Dienstpläne allein erfassen noch nicht die real geleisteten Anwesenheitszeiten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer bisher wenig beachteten Entscheidung bereits im Jahr 2003 entschieden, dass diese Pflicht der Arbeitgeber gegenüber den Behörden besteht. Der Arbeitgeber hat die Aufzeichnungen also vorzuhalten. Er darf deshalb auf die exakte Feststellung der Ist-Zeiten nicht verzichten. Benutzt er zur Zeiterfassung kein elektronisches System, sondern vertraut er auf die Selbstaufschreibung der Arbeitnehmer, muss er durch wirksame Kontrollen gewährleisten, dass die Arbeitszeiten zutreffend aufgeschrieben wurden.
Beratertipp: Möglichkeiten des Betriebsrats
Es ist das Recht des Betriebsrats auch im Rahmen seiner Überwachungspflichten nach § 80 Abs. 2 BetrVG diese Aufzeichnungen nach § 16 Abs. 2 ArbZG anzufordern. Aus der Aufzeichnung von Überschreitungen der werktäglichen Höchstarbeitszeit lässt sich für Gremien schnell erkennen, ob hier nur mal ausnahmsweise so gearbeitet oder ob der Verstoß gegen die Höchstarbeitszeit zur Regel wurde. Es gibt allerdings Arbeitgeber, die trotz Anforderung des Betriebsrats sogar schriftlich einräumen, dass sie solche Aufzeichnungen nicht führen.
Diese Antwort erstaunt, denn sie stellt wohl ein Geständnis dar. In den Bußgeldvorschriften des § 22 ArbZG findet sich nämlich unter Abs. 1 Nr. 9: Ordnungswidrig handelt, wer als Arbeitgeber entgegen § 16 Abs. 2 […] Aufzeichnungen nicht oder nicht richtig erstellt oder nicht für die vorgesehene Dauer aufbewahrt. Erhält also ein Betriebsratsgremium diese Auskunft, sollte es im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit nachfragen, ob der Arbeitgeber sich ernsthaft selbst der Ordnungswidrigkeit des Nichterfassens bezichtigen will.
Denknotwendig verbirgt sich in § 16 Abs. 2 ArbZG die Verpflichtung, Beginn und Ende der Arbeitszeit zu erfassen – auch wenn es explizit so nicht formuliert ist. In den Unternehmen wird immer wieder behauptet, die Verpflichtung der Erfassung bestehe ja erst bei Überschreitung von 8 Stunden. Nur - um diese Überschreitung mathematisch erkennen zu können, bedarf es zweier Werte: Den Zeitpunkt des Beginns und den des Endes der Arbeitszeit.
Quelle: www.bund-verlag.de