Arbeitgeber muss vor Verfall von Urlaubstagen warnen
Nach der Rechtsprechung des EuGH verfallen noch vorhandene Urlaubstage nicht automatisch, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht rechtzeitig genommen hat. Der Arbeitgeber muss seine Beschäftigten »klar und rechtzeitig« vor dem Verfall warnen und ihnen Gelegenheit geben, den Urlaub zu nehmen - so das Bundesarbeitsgericht.
Darum geht es
Der Kläger verlangt Abgeltung für nicht genommene Urlaubstage. Er war ab August 2001 befristet als Wissenschaftler bei der Max-Planck-Gesellschaft in München beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 5089,23 EUR. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach den Vorschriften des TVöD und war bis 31.12.2013 befristet.
Der Arbeitgeber wies den Forscher mit Schreiben vom 23.10.2013 auf das bevorstehende Ende seines Vertrages hin und bat ihn, bis dahin noch vorhandene Urlaubstage zu nehmen. Dieser nahm daraufhin zwei Tage Urlaub.
Laut seiner Entgeltabrechnung vom 4.12.2013 standen dem Arbeitnehmer noch 21 Resturlaubstage aus dem Jahr 2012 und 30 Urlaubstage aus dem Jahr 2013 zu. Für diese 51 Urlaubstage beantragte er im Januar 2014 die Abgeltung.
Knapp 12.000 Euro für 51 Urlaubstage
Der Arbeitgeber lehnte die Zahlung ab und verwies den Wissenschaftler darauf, er habe ihn mehrmals aufgefordert, seinen verbliebenen Urlaub bis zum Vertragsende »einzubringen«. Er habe davon abgesehen, den Kläger zur Einbringung seines Urlaubs zu zwingen, um ihn nicht in seiner wissenschaftlichen Freiheit einzuschränken.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) gaben der Klage statt ( LAG München 6.5.2015 - 8 Sa 982/14).) und sprachen dem Kläger Schadenersatz in Höhe von 11.979,26 Euro zu, weil der Arbeitgeber den Urlaub vor dem Verfall rechtzeitig von sich aus hätte gewähren müssen.
Rechtsstreit bis zum EuGH
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war der Ansicht, der Urlaubsanspruch sei verfallen, da der Kläger die 51 Urlaubstage nicht einmal beantragt hatte. Das BAG legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, ob das deutsche Urlaubsrecht in diesem Punkt mit der europäischen Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG vereinbar ist. Denn Artikel 7 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, dass der Arbeitgeber zumindest den bezahlten Mindesturlaub (vier Wochen im Jahr) sicher nehmen kann.
Der EuGH sieht in dieser Frage den -privaten oder öffentlichen- Arbeitgeber in der Pflicht. Dieser müsse seine Beschäftigten in die Lage versetzen, tatsächlich in den Genuss ihres Urlaubs zu kommen. Dafür müsse der Arbeitgeber alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen. Er müsse seine Beschäftigten klar, eindeutig und direkt auf ihren Einzelfall bezogen darauf hinzuweisen, dass der Urlaub verfällt, wenn er nicht rechtzeitig genommen wird (EuGH 6.11.2018 - Rs. C-684/16).
Das sagt das Bundesarbeitsgericht (BAG)
Das BAG hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen, den Fall allerdings erneut an das Landesarbeitsgericht (LAG) München verwiesen.
Der Arbeitgeber sei nach den vom EuGH getroffenen Vorgaben nicht gezwungen, dem Arbeitnehmer Urlaub zu gewähren, den dieser nicht beantragt hat. Er muss die Beschäftigten allerdings »klar und rechtzeitig« auf nicht genommenen Urlaub und das Verfallrisiko hinweisen.
Bei einer richtlinienkonformen Auslegung von § 7 Bundesurlaubsgsetz (BUrlG) könne Urlaub nur dann verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls verfällt.
Was im Einzelfall »rechtzeitig« bedeutet, ließ das Gericht offen - dies dürften Arbeitsgerichte künftig im Einzelfall zu prüfen haben. Das LAG München muss nun in einem neuen Verfahren prüfen, ob der Arbeitgeber hier diesen Obliegenheiten nachgekommen ist.
Folgen für die Praxis:
In der Praxis liegt der Ball nun bei den Arbeitgebern. Gerade im Wissenschaftsbetrieb mit seinen strukturell häufigen Befristungen genügt es jetzt nicht mehr, den Beschäftigten einmalig darum zu bitten, dass er seinen Urlaub nehmen möge. Der Arbeitgeber darf danach nicht unter Verweis auf die »wissenschaftliche Freiheit« des Arbeitnehmers zuschauen, wie Urlaubstage im Umfang von mehr als einem Jahresurlaub verfallen.
Unterbleibt der klare und rechtzeitige Hinweis, ist dem Arbeitgeber verwehrt, sich auf den (gesetzlichen oder tariflichen) Verfall von Urlaubstagen zu berufen, und dem Arbeitnehmer steht für die verlorenen Urlaubstage ein Ersatzanspruch zu.
Quelle: https://www.bund-verlag.de/