Arbeitgeber kann nach Eingang der Massenentlassungsanzeige kündigen
Vor einer Massenkündigung muss der Arbeitgeber eine Anzeige an die Agentur für Arbeit erstatten. Allerdings darf er die Kündigungen schon vorbereiten. Die Massenentlassung ist zulässig, wenn die Kündigung den Beschäftigten nach Eingang der Anzeige zugeht, so nun das BAG.
Kündigungen im Insolvenzverfahren
Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde zum 1.6.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Eine Massenentlassungsanzeige des Insolvenzverwalters ging am 26.6.2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben von diesem Tag kündigte der Insolvenzverwalter den 45 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt zum 30.9.2017.
Streit um Massenentlassungsanzeige
Einer der betroffenen Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Das Kündigungsschreiben ging ihm am 27.6.2017 zu. Vor Gericht machte er geltend, der Insolvenzverwalter hätte die Kündigungsschreiben erst unterschreiben dürften, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) müsse der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht an die Arbeitsagentur nach § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nachkommen, bevor er endgültig über die Kündigung der Arbeitsverhältnisse entscheidet.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg ist dem gefolgt und hat die Kündigung in der Berufung für rechtswidrig erklärt. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe. Diese Entscheidung manifestiere sich im Unterzeichnen des Kündigungsschreibens (LAG Baden-Württemberg, 21.8.2018 - 12 Sa 17/18).
BAG: Arbeitgeber darf schon zur Kündigung entschlossen sein
Dieses Urteil hob das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun wieder auf. Die nach § 17 Abs. 1 KSchG vorgeschriebene Massenentlassungsanzeige könne auch dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist.
Kündigungen im Massenverfahren seien daher – bei Erfüllen der anderen Kündigungsvoraussetzungen - wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.
Die Kündigung dürfe allerdings erst dann erfolgen, dh. dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie).
Mit diesen Maßgaben muss das LAG Baden-Württemberg in einem neuen Verfahren aufklären, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und der Insolvenzverwalter den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß angehört hat.
Hinweis für die Praxis
Auch wenn das BAG mit seiner Entscheidung den Zeitraum verkürzt, der zwischen Massentlassungsanzeige und Ausspruch der Kündigungen liegt, enthält sein Urteil zwei sehr wichtige Aussagen für Betriebsrat und Arbeitehmer:
Zum einen betont das BAG, dass die Kündigung dem Arbeitnehmer erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur zugehen darf. Also liegt beim Arbeitgeber auch das Risiko, dass die Kündigung unzulässig ist, weil sie schon früher in die Post gegeben wurde und dem Beschäftigten zu früh zugeht.
Zum anderen machen die Richter klar, dass die Massenentlassungsanzeige eine andere Funktion hat als das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat (§ 17 Abs. 2 KSchG). Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat schon deutlich früher von seinen Plänen unterrichten und mit ihm beraten, bevor er sich endgültig zu kündigen entschließt. Im Gesetz heißt es audrücklich, die Betriebspartner haben »Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden« (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG). Ein Kündigungsschreiben, das vor dem Ende der Beratungen mit dem Betriebsrat datiert, wäre dann ein deutliches Indiz für eine rechtswidrige Kündigung.
Quelle: www.bund-verlag.de