Hinweispflicht gilt auch für Resturlaube aus Vorjahren
Der Arbeitgeber muss Beschäftigte rechtzeitig auffordern, ihre noch offenen Urlaubstage zu nehmen. Tut er dies nicht, droht Schadensersatz. Das gilt auch für den Resturlaub aus früheren Jahren oder wenn der Arbeitnehmer rechtswidrig auf den Urlaub verzichtet hat – so nun das LAG Köln.
Arbeitnehmer klagt Urlaub ein
Der Arbeitnehmer war von September 2012 bis März 2017 bei einer Apotheke als Bote angestellt. Seine Aufgabe bestand darin, Medikamente auszuliefern. Seine Arbeitszeit betrug laut Vertrag 30 Stunden pro Woche. In § 9 des Arbeitsvertrages heißt es: »Auf eigenem Wunsch nimmt Herr S seinen Jahresurlaub in Form vom wöchentlicher Arbeitsverkürzung. Er arbeitet statt der bezahlten 30 Stunden pro Woche nur 27,5 Stunden pro Woche.«
Der Apotheker kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2017 und stellte den Arbeitnehmer ab Dezember 2016 von der Arbeit frei. Der Arbeitnehmer erhob Klage auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage ab dem Jahr 2014. Auf wessen Wunsch der Urlaubsverzicht in den Arbeitsvertrag aufgenommen wurde, ist streitig.
Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen sprach dem Arbeitnehmer 378 Euro als Ersatz für sechs entgangene Urlaubstage im Jahr 2017 zu (ArbG Aachen 11.1.2018 – 7 Ca 2314/17). Im übrigen wies das ArbG die Klage mit der Begründung ab, der Urlaubsanspruch des Klägers für die Vorjahre bis 2016 sei verfallen. Auch eine Abgeltung stehe ihm nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) nicht zu, da er den Urlaub im jeweiligen Kalenderjahr hätte verlangen müssen (§ 7 Abs. 3 BUrlG).
LAG Köln: Urlaubsverzicht ist unwirksam
In der Berufung änderte das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln. dieses Urteil ab. Dem Kläger stehen weitere 3600 Euro nebst Zinsen für die entgangenen Urlaubstage der Jahre 2014 bis 2016 zu. Der Betrag stand dem Kläger nach Auffassung des LAG Köln als Abgeltung des ihm entgangenen gesetzlichen Urlaubs in den Jahren 2014, 2015 und 2016 zu.
Der Urlaubsverzicht im Arbeitsvertrag des Klägers ist rechtswidrig, weil er gegen das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verstößt. Eine um 2,5 Stunden verringerte Wochenarbeitszeit ist kein Erholungsurlaub im Sinne des BUrlG, weil Urlaub in Tagen und wochenweise zusammenhängend gewährt werden muss (§§ 3 und 7 BUrlG). Daher ist die Klausel im Vertrag als nachteilige Vereinbarung unwirksam (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG).
3600 Euro Ersatz für Urlaubstage von 2014 bis2016
Der Urlaubsanspruch für die Jahre 2014 bis 2016 ist nicht -wie vom ArbG Aachen unterstellt- verfallen. Zwischenzeitlich hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigten rechtzeitig auf noch offene Urlaubstage hinweist und sie auffordert, den Urlaub zu nehmen bevor dieser verfallen kann (EuGH 6.11.2018 – C-684/16). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich dieser Auffassung angeschlossen (BAG 19.2.2019 – 9 AZR 541/15).
Nach Aufassung des LAG Köln ist diese Hinweispflicht nicht auf den Urlaub im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt. Sie gilt auch für den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren. Der Arbeitnehmer konnte sich mit Recht auch noch im laufenden Prozess darauf berufen, dass der Arbeitgeber dieser Hinweispflicht nicht nachgekommen ist.
Das Urteil ist derzeit noch nicht rechtskräftig, eine Beschwerde des Arbeitgebers ist noch beim Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängig (Az. 5 AZN 167/19).
Hinweise für die Praxis
Nach Ansicht des LAG Köln besteht die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer von sich aus auf offene Urlaubsansprüche hinzuweisen, auch für den nicht genommenen Urlaub aus früheren Jahren. Das Urteil liegt damit auf der Linie, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 6.11.2018 vorgegeben und die das BAG fortgeführt hat.
Der Abgeltungsanspruch dürfte auch in ähnlich gelagerten Fällen bestehen, in denen der Arbeitgeber nicht so dreist war, den Arbeitnehmer einen ersichtlich unwirksamen Verzicht auf seine Urlaubsansprüche unterschreiben zu lassen.
Besonders wichtig für noch laufende Verfahren: Der Arbeitnehmer seinen Ersatzanspruch für die Urlaubstage erst in der Berufungsinstanz vor dem LAG Köln geltend gemacht. Das ist naheliegend, denn das maßgebliche Urteil des EuGH vom 6.11.2018 war noch nicht ergangen, als das ArbG Aachen über die Ansprüche des Arbeitnehmers entschieden hat.
Wichtig ist, dass das LAG Köln dies ausdrücklich für zulässig erklärt hat. Das macht die Entscheidung für alle Arbeitnehmer wichtig, die zur Zeit noch mit ihrem früheren oder gegenwärtigen Arbeitgeber vor Gericht um die Urlaubsageltung streiten.
Quelle: www.bund-verlag.de